Da sitze ich wieder auf meiner Bank. Na ja, eigentlich ist es nicht meine Bank, sondern Walters Bank.
Ich werde nie vergessen, wie ich sie entdeckte. Ich ging mit den Kindern spazieren und zu der Zeit habe ich noch so viel gearbeitet, dass ich kaum rauskam. Es war nass und glitschig. Wir hatten Gummistiefel an und Stöcker in den Händen.
Ich habe die Bank beim Laufen gesichtet und schon darauf gelauert, bis das Pärchen weiterzieht, damit ich sie besetzen kann.
Um auf ihr ein Päuschen zu machen, die Kinder laufen zu lassen und die Aussicht auf mein Watt zu genießen.
Der Blick von der Bank auf das Watt ist nämlich gigantisch. Jedenfalls für mich. Ich stürmte also den Hügel hoch und da war sie, die Bank! Je näher ich kam, desto neugieriger wurde ich, denn an der Lehne der Bank stand ein Schild, auf dem zu lesen war:
„Eine Bank für dich lieber Walter. An genau dieser Stelle, an genau diesem Ort, deinem Lieblingsplatz der Insel. Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag! Wir lieben dich.“
Ich war zutiefst berührt. Der Walter ist ein Glückspilz, dachte ich. Was für ein liebevolles Geschenk! Was für eine liebevolle Geste! Da hat der Walter wohl alles richtig gemacht in seinem Leben, dachte ich.
Ich konnte ihn gut verstehen, den Walter. Mir leuchtet ein, dass dies sein Lieblingsplatz ist. Dieses Plätzchen hier ist natürlich nicht jedermanns Sache. Da kann nur ein bestimmter Schlag Mensch etwas mit anfangen. Jemand wie ich zum Beispiel.
Vor 2 Jahren habe ich diese Bank entdeckt. Seitdem komme ich regelmäßig hier her. Warum? Na ja, der Laie würde denken wegen des Blickes auf das Watt. Aber Walter und ich wissen es besser!
Es ist nicht der Blick, der diesen Ort einzigartig macht. Es ist die Stille! Hier ist nichts — absolut gar nichts! Nur ich und die Stille. Hier kann ich mein Herz schlagen hören, meinen Atem spüren, meine Gedanken filtern, in meine Kraft kommen und auftanken. Hier kann ich ankommen, umgeben von meiner wichtigsten Qualität, der Ruhe!
Eigentlich ist das witzig, wenn man bedenkt, dass ich 34 Jahre lang versucht habe mir meine Stille abzugewöhnen. Das war damals in den Cliquen in der Schule nicht „aufregend“ still zu sein. In der Gruppe eher der Denker zu sein, als der Entertainer kam nicht so gut an. Stumm zu sein „war halt nicht cool“. Ich kam nur in Fahrt, wenn die Gespräche tiefer gingen und das war in dem Alter selten der Fall.
Mein Gott, was hätte ich damals alles dafür gegeben, aus meiner Haut zu können. Was hätte ich alles dafür gegeben, so zu sein wie die anderen. Einfach normal zu sein, ohne dieses denken.
So langsam kann ich darüber lachen. Heute ist diese Ruhe mein Trumpf, mein Ass, mein Siegel und das kostbarste Werkzeug für meine Arbeit. Ich hätte damals nicht für möglich gehalten, dass dieser Fluch im Grunde ein Segen ist.
Danke Walter, dass du so ein toller Typ warst. Du bist der Einzige, mit dem ich diese Bank teilen würde.